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Kindergärten: Widerstand gegen “Quereinsteiger”

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Kindergartenpädagog*innen in Aufruhr: Seit zwei Monaten soll eine Notfallregelung den Personalmangel in steirischen Kindergärten lindern. Das sorgt auch im Annenviertel für Proteste und Verunsicherung.

Von: Lena Lafer und Anna-Lena Müller

Am 13. Oktober 2020 beschloss der steirische Landtag mit den Stimmen von ÖVP und SPÖ eine Änderung des Gesetzes über die fachlichen Anstellungserfordernisse von steirischen Kindergartenpädagog*innen. Mit der Novelle soll die Personalnot gemildert werden, die in vielen Kindergärten herrscht. Zur Überbrückung soll weniger qualifiziertes Personal eine Kindergartengruppe leiten dürfen, nachdem dieses einen 30-stündigen Grundlagenkurs absolviert hat. Teilnehmen dürfen beispielsweise ausgebildete Betreuer*innen mit zumindest fünf Jahren Berufserfahrung oder Absolvent*innen des Pädagogikstudiums. Mit dieser Maßnahme soll verhindert werden, dass ganze Gruppen geschlossen werden müssen. In Zukunft wird auch der Bedarf an Betreuungsplätzen steigen, schreibt uns auf Anfrage das Büro von Landesrätin Bogner-Strauß (ÖVP). Steiermarkweit werden momentan 4 Personen eingesetzt, die die 30-stündige Ausbildung absolvieren. Zwei Personen schließen in Kürze die Ausbildung zur Elementarpädagog*in ab, zwei weitere haben ein pädagogisches Studium abgeschlossen, erfahren wir aus dem Büro der Landesrätin.

Kinder brauchen Profis

Die Gesetzesänderung stößt aber seitens der Pädagog*innen auf Widerstand. Mehr als 8000 Mitglieder hat die Facebook-Gruppe der Initiative #kinderbrauchenprofis mittlerweile. Ihr Organisationsteam setzt sich aus einer breiten Koalition aus Berufs- und Interessensvertreter*innen zusammen, ihre Haltung ist klar: “In keinem Beruf geht das, dass man ohne Befähigungsprüfung und die fachlichen Voraussetzungen arbeiten darf. Es ist eine bodenlose Frechheit unserem Berufsstand gegenüber”, schreiben uns die Initiator*innen in einer Stellungnahme.

“Immer erst zu handeln, wenn der Hut brennt, ist politisches Versagen”, kommentiert die Leiterin eines Annenviertler Kindergartens, die die Initiative unterstützt. Sie will anonym bleiben, da sie nur für einen Kindergarten im Bezirk Gries, aber nicht für das gesamte Unternehmen sprechen könne. Schlechte Bezahlung und noch schlechtere Arbeitsbedingungen im Bereich der Elementarpädagogik seien die Ursache für den derzeitigen Personalmangel in Kindergärten. Die Gesetzesänderung löse das Problem nicht, sie federe nur kurzfristig die Konsequenzen ab. „Es gab zur Elementarpädagogik schon so viele schöne Worte und heiße Diskussionen im Landtag – jetzt fordern wir aber Taten statt Worte! Die Verbesserung der Rahmenbedingungen muss endlich umgesetzt werden“, fordert das zehnköpfige Organisationsteam von #kinderbrauchenprofis.

Wo bleiben die Fachkräfte?

Obwohl es genügend ausgebildetes Personal gibt, bleiben Stellen in Kindergärten unbesetzt, die Fluktuation ist hoch. Genaue Zahlen dazu gibt es nicht. Häufig kommt es zu kurzfristigen Ausfällen, etwa wegen Schwangerschaften, heißt es aus dem Landesressort für Bildung. In der Landtagssitzung vom 13.Oktober spricht Lara Köck (Die Grünen) von etwa 100 freien Stellen. Schlechte Rahmenbedingungen machen den Beruf unattraktiv. In der Facebookgruppe der Initiative machen Pädagog*innen ihrem Ärger Luft. “Mich brennt die Arbeit als Kindergartenpädagogin immer wieder aus, es sind zu viele Kinder in einer Gruppe und zu wenig Personal”, heißt es in einem Kommentar. Auch das Gehalt ist für viele Betroffene ein Thema. “Dokumentation und administrative Tätigkeiten nehmen viel Zeit in Anspruch, alles andere muss nebenbei laufen”, meint auf Anfrage eine weitere Leiterin. Ihr Kindergarten ist zwar keinem Dachverband unterstellt, sie möchte aber ebenfalls anonym bleiben.

Im Rahmen der Initiative haben Studierende des Bachelorstudiengangs Elementarpädagogik der Pädagogischen Hochschule konkrete Ziele und Lösungsvorschläge für diese Probleme formuliert und auf Facebook mit ihrem Netzwerk geteilt. Dazu zählen angemessene Bezahlung, ein neuer Personalschlüssel und ein Maßnahmen- parallel zum aktuellen Notfallplan.

Offene Fragen

Gerade während des ersten Lockdowns haben Eltern selbst wieder sehr unmittelbar erlebt, wie wichtig und arbeitsintensiv  Kinderbetreuung ist. Dennoch mangelt es oft an gesellschaftlicher Wertschätzung: “Im Kindergarten wird eh nur gespielt, heißt es oft”, sagt die Kindergarten-Leiterin, die Teil der Initiative ist.

Auch seien einige Fragen zur Gesetzesänderung weiterhin offen: “Wie sollen wir belegen, dass aktiv nach Pädagog*innen gesucht wurde, bevor wir auf die Novelle zurückgreifen können?”, fragt sich die oben genannte Leiterin des Annenviertler Kindergartens. Dieses “aktive Suchen” ist nämlich Voraussetzung dafür, dass “Crashkurs-Pädagogen zum Einsatz kommen können. Außerdem ist unklar, was nach der Übergangslösung passiert. “Was soll man denen nach zwei Jahren sagen? Jetzt brauchen wir dich nicht mehr, du kannst als Betreuerin arbeiten?”

Titelbild: #kinderbrauchenprofis – Foto: Lena Lafer

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