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Drag Race: Stöckelschuhe gegen das Patriarchat

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Glitzer, Stöckelschuhe, Perücken – und die Frage nach dem Spannungsfeld zwischen Drag Queens, der Rolle der Frau und Feminismus.  Am 24.11. ging das Tuntenball Drag Race, die Vorentscheidung zur Miss Tuntenball 2019, in der Generalmusikdirektion über die Bühne.

„Als Drag-Queen bezeichnet man einen Mann, der die Rolle der Frau künstlerisch verkörpert, sich aber nach wie vor als Mann empfindet.“ So lautet die Wikipedia-Definition. Doch inwiefern identifizieren sich Drag Queens mit dieser Rolle und wie stehen sie zum Feminismus? Die Annenpost hat beim vergangenen Drag Race in der Generalmusikdirektion sowohl bei den TeilnehmerInnen, als auch bei der Mutti des Tuntenballs nachgefragt.

Sieben Drag-Queens und ein Drag-King kämpften am vergangenen Samstag beim Drag Race um den Einzug in das Finale zur Miss Tuntenball 2019 am 23. Februar. In der Jury saßen die amtierende Miss Tuntenball 2018, Rachel Estrella Cloud, die Designerin, DJane und Drag-Queen Tamara Mascara, Make-Up Artist Pandora Nox und der Grazer Friseur Dieter Ferschinger, der auch schon für Germanys next Topmodel tätig war. Nach acht Shows wählte die Jury drei Teilnehmerinnen, die beim Tuntenball weiter um den Titel der Miss Tuntenball 2019 kämpfen werden.

Moderatorin Miss Desmond holte zuerst Saliva Deepstollen ins Finale, die während ihres Auftritts ihren Bühnenkollegen „erschoss“, der das Patriarchat verkörperte. Danach folgte Vanessa Community, die im aufwendig gestalteten Kostüm mit Kuh-Muster überzeugte. Zuletzt kam Anna Conda in die Top-Drei, sie begeisterte als Einzige mit ihrer eigenen Stimmgewalt anstatt des üblichen Lip-Sync.

Die Finalistinnen des Drag Race 2018 (von links): Vanessa Community, Anna Conda und Saliva Deepstollen – Foto: Nadja Eder

Die Frau als Kunstfigur

Alle drei Finalistinnen sind in Feierlaune, immerhin wird eine von ihnen die nächste Miss Tuntenball. Doch wie sind sie überhaupt zu Drag-Queens geworden? Und wie sehen sie die Rolle der Frau für sich persönlich?

Saliva Deepstollen mit blonder Mähne, hinduistischem Nasenschmuck und in weißem Korsett erzählt, dass ihr erster Berührungspunkt mit der Drag-Szene der Tuntenball war. Sie sei fasziniert gewesen, wie gut Männer in Frauenkleidern aussehen können – beispielsweise Bubblegum Lecter. Der Mann hinter Saliva hat zwei Schwestern, dadurch verbinde sie mit der Rolle der Frau stets Stärke. Frauen seien zwar anders als Männer, aber in keinem Fall unterlegen. Saliva sei bereits am Anfang ihrer Kariere als Drag-Queen klar gewesen, dass sie politische Themen mit einfließen lassen wolle. So kam es auch zum Kopfschuss für das Patriarchat. Aber auch Unterhaltung sei wichtig.

Vanessa Community ist gelernter Koch und sagt, bei ihr wäre die kreative Veranlagung schon immer vorhanden gewesen. Für Vanessa ist das Spiel mit den Geschlechtern und das damit verbundene Styling erfüllend. Der äußerliche aber auch psychische Wechsel vom Mann zu Vanessa mache ihr Spaß, sie könne so sein, wie sie will. Die Welt könne sich auch ein Beispiel an Drag-Queens nehmen:

„Wir sind alle ab und zu ein bisschen bitchig, aber trotzdem darf jeder sein wie er will!“

Anna Condas Kunstfigur erblickte das Licht der Welt, als sie die Moderation für die Parade zum Christopher Street Day in Graz übernahm. Für sie seien Frauen in der Gesellschaft leider zu gering geschätzt, obwohl sie viel Power hätten. Das Patriarchat sei nur eine Tradition, die zwar schwer, aber bei weitem nicht unmöglich zu brechen sei. „Meine Figur ist etwas dezenter gestylt als die anderer Drag-Queens, da ich die Frau authentischer und weniger überspitzt darstellen möchte.“

Die Mutti des Tuntenballs

Miss Alexandra Desmond war die Moderatorin des Abends und ist gemeinhin als Tuntenball-Mutti bekannt. Seit 2009 ist sie für den Tuntenball in Graz tätig, seit 2010 moderiert sie diesen sowie das Drag Race. Sie selbst bezeichnet sich nicht als Drag-Queen. „Ich bin optisch eher irgendwo zwischen Anne Rosar und einer korpulenten Version der Opernsängerin Anna Netrebko anzusiedeln. Bei Drag-Queens geht es oft um das Überzeichnen der Frauenrolle, wobei bei mir alles etwas natürlicher ist, wie man sieht“, sagt sie lachend im asiatischen Kimono und mit voluminösen Dutt am Kopf.

Der seit 1991 bestehende Verein für lesbische, schwule, bi- und transsexuelle Menschen der RosaLila PantherInnen organisiert den Tuntenball mit. Auf die Frage, was ihr die Arbeit mit dem Verein bedeutet, antwortet sie amüsiert: „Die Veranstaltungen der PantherInnen sind um den Tuntenball als Zentrum arrangiert, wie die Perlen an der Halskette einer schönen Dame. Es sind Partys, bei denen sich alle  amüsieren, und ich achte darauf, dass sich wohl alle brav daneben benehmen.“

Moderatorin und Tuntenball-Mutti Miss Alexandra Desmond führte durch den Abend – Foto: Nadja Eder

Stöckelschuhe gegen Extremisten

Fragt man Miss Desmond nach ihrer Einschätzung, wie sehr die Vielfalt, die der Tuntenball seit mittlerweile 30 Jahren feiert, heutzutage gefährdet ist, wird die Mutti ernst. Sie sei jedes Mal besorgt, wenn sie eine Tageszeitung aufschlage und über die Arbeit der Regierung lese. Den Tuntenball brauche es heutzutage mehr denn je, denn sie sehe alles, wofür sie und die RosaLila PantherInnen stehen, in Zeiten von Extremismus aller Art durchaus bedroht. „Aber ich stemme mich mit den Stöckelschuhen dagegen“, sagt sie bestimmt und lacht wieder.

Auch Feminismus ist für sie ein wichtiges Thema. Sie sehe prinzipiell keinen Unterschied zwischen der Rolle der Frau und der des Mannes, es sei nur problematisch, dass viele Leute noch einen Unterschied herstellen. „Man kann heutzutage nicht mehr nicht FeministIn sein, Feminismus ist gegen das Patriarchat und darin fühlt sich keiner wohl – auch Männer nicht“, sagt Miss Desmond. Auch bei aktuellen Themen wie #metoo ist sie aufgeschlossen. Derartige Debatten seien gut, um für eine offene Gesellschaft einzutreten. Eine Gesellschaft, für die vor allem auch der Tuntenball mit seinen Drag-Queens steht.

Zum Schluss hat Miss Desmond noch einen Appell an die Welt: „Zieht an was ihr wollt, tragt Kopftücher oder auch nicht –  verwirklicht euch! Man lebt so kurz und ist SO lange tot! Alles wird gut – auch politisch!“

Weitere Bilder vom Drag Race am 24.11.2018

Der Tuntenball 2019

Am 23.02.2019 findet der 30. Grazer Tuntenball unter dem Motto „Scandal“ im Congress Graz statt.

Tickets sind ab 1.12.2018 unter http://www.tuntenball.at/tickets oder in den Verkaufsstellen in Graz und Wien erhältlich. Der Erlös wird zur Gänze für ehrenamtliche Projekte der RosaLila PantherInnen verwendet.

Spross aus steirischem Süd-Ost-Block, seit einiger Zeit feste Wurzeln in Graz. Fotografie-, Koffein- und Serienjunkie mit Fokus auf Game of Thrones, Vikings und Doctor Who. Meistens müde und in der Regel nett.

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