Bei der Silent Reading Party liest man zu Tee und Kuchen.
Lesezeit: 3 Minuten, 12 Sekunden

Einmal Ruhe, bitte

in KULTUR von

Smartphone weg, Buch raus – für viele heutzutage keine leichte Aufgabe. Sandra Auer zeigt in der Teebar Omas Teekanne vor, dass die Kultur des Bücherlesens noch höchst lebendig ist.

Vor dem Eingang der Teebar steht auf einer Tafel in verschnörkelter Schrift „Silent Reading Party”. Beim Betreten entfalten sich Vintage Flair, wohlige Wärme, der Duft von Tee. Die ersten Gäste unterhalten sich angeregt. Erst beim offiziellen Beginn der Party verstummen die Unterhaltungen. Dann ist nur noch das Klappern von Teetassen zu hören, sanfte Klänge aus der Musikanlage und der Regen draußen. Ab und zu das leise Umblättern von Buchseiten.

Eine Idee wird geboren

Als sich Sandra Auer und Yuno Khripunova, die mit Omas Teekanne vor zwei Jahren die erste Vintage-Teebar in Graz eröffneten, dazu entschlossen, Silent Reading Partys zu veranstalten, waren sie mit dieser Idee in guter Gesellschaft. Das erste Leiselesefest fand schon im Jahr 2009 statt, sagt Google. Christopher Frizzelle, Autor bei The Stranger, einer Lokalzeitung der US-amerikanischen Stadt Seattle, und zwei Arbeitskollegen hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, sich nach Dienstschluss daheim zu treffen, um gemeinsam zu lesen. Als Frizzelles Kollegen wegzogen, beschloss er, mit dem Lesen in Gesellschaft einfach weiterzumachen. Noch heute finden Frizzelles Silent Reading Parties am ersten Mittwoch jedes Monats um sechs Uhr abends im Hotel Sorrento in Seattle statt.

Die Idee fand viele Nachahmer. 2012 organisierten Guinevere de la Mare und Laura Gluhanich in San Francisco den Silent Book Club, der sich über Freunde bald bis nach Großbritannien, Südafrika und Japan herumsprach. So einen Club kann jeder gründen, die Website des Clubs bietet dazu eine Anleitung. Und in Neuseeland gründete Meg Williams den Slow Reading Club, da sie sich dabei ertappt hatte, viel mehr Zeit auf Facebook oder mit ihren E-Mails als mit Büchern zu verbringen. Langsam bedeutet, sich die Zeit zu nehmen, um sich in den Text zu vertiefen. Im Unterschied zu Silent Reading Parties gibt es keine Hintergrundmusik.

Leises, leidenschaftliches Lesen

Im Oktober letzten Jahres stieß Sandra Auer im Internet auf dieses Format. So einen Leiselese-Tag wollte sie auch probieren. Als Kooperationspartner holte sie den karitativen Second-Hand-Buchladen Books4Life mit an Bord, bei dem Auer einst selbst im Vorstand war.

„Wir sehen auch in der Teebar, dass sich die meisten nur mit ihrem Smartphone beschäftigen”, sagt Sandra Auer. „Öfters kommen Pärchen, beide schauen auf das Handy, anstatt miteinander zu reden.” Auch im Bus oder Zug schauten die Leute lieber auf Bildschirme als in Bücher. Die Silent Reading Partys, die sie veranstaltet, wollen da gegensteuern: Idealerweise zwei Stunden lang sollen die Gäste auf ihre Telefone verzichten und sich ganz auf einen Text konzentrieren. Das dürfen auch E-Books sein. Roman, Krimis, Sachbücher – alles erlaubt. Sein Smartphone kann man in eine spezielle Box legen, um erst gar nicht in Versuchung zu kommen.

Bücher für den guten Zweck

An der Silent Reading Party nimmt jeweils auch ein ehrenamtlicher Mitarbeiter von Books4Life teil, mit ausgewählten Büchern im Gepäck. Die kann man leihen oder für einen kleinen Betrag kaufen. 90 Prozent der Einnahmen von Books4Life gehen an karitative Projekte wie das SOS Kinderdorf, die Volkshilfe Steiermark oder das Stipendienprogramm des Afro-Asiatischen Instituts. Helfen kann auch jeder, der seine Bücher an Books4Life spendet.

Der Tee wird mit Sanduhr und nur in Teekannen serviert – Foto: Anthea Grassegger

Positive Aussichten

Sandra Auer resümiert zufrieden: „Die Umsätze bei Books4Life werden jedes Jahr ein wenig mehr.” Die Silent Reading Parties sind gut besucht – so auch bei unserem Besuch Anfang November. Einige Personen kommen mit Freunden, einmal sei sogar eine ganze Familie gekommen, erzählt Auer. Bereits zehn Minuten vor dem offiziellen Beginn sind alle Plätze besetzt. Eine Gruppe von älteren Damen liest Jojo Moyes, ein Herr Jo Nesbø. Einer der Studenten, die gekommen sind, blättert in einem besonders dicken Wälzer – einem Physik-Fachbuch.

Wann die Silent Reading Party  zum nächsten und somit sechsten Mal stattfindet, wird rechtzeitig auf der Website und dem Facebook-Account der Teebar veröffentlicht.

Wordrap mit Sandra Auer

Bücher lese ich… meist gedruckt, da ich viel gebraucht kaufe, wie bei Books4Life und auf Flohmärkten, aber auch als E-Books

Das Buch, das ich gerade gelesen habe… ist “Ein Winter in Wien” von Petra Hartlieb

Mein liebster Charakter aus einem Buch… sind generell starke Frauen

Mein liebster Ort zum Lesen ist… daheim im Bett

Ein Buch, das jeder einmal gelesen haben sollte ist… “Vom Ende der Einsamkeit” von Benedict Wells

Als Urlaubslektüre lese ich… schwierigere Lektüre, wie von Haruki Murakami und Paul Auster

Beim Bücherkauf achte ich auf… das Cover, den Klappentext, und ich lese immer die ersten Sätze des Buchs

Eine andere entschleunigende Gemeinsamlesegelegenheit im Viertel

 

Genervt von Leuten, die ihren Vornamen inkorrekt aussprechen bzw. schreiben. Mag Motorsport, Fremdsprachen, andere Kulturen und gute Gespräche. Außerdem süchtig nach Matcha-Tee.

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