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Ein Leuchtturm für die Schlaue Stadt

in POLITIK & WIRTSCHAFT von

In der Smart City Waagner Biro will die Stadt Graz zeigen, wie die Zukunft des urbanen Bauens aussehen könnte. Wir haben uns angeschaut, was das Vorzeigeprojekt des neuen Stadtteils, der vergangenes Jahr eröffnete Science Tower, schon jetzt alles kann.

Gelb, grün und rot. In den Farben einer Ampel ist das Glas getönt, das sich, seit einigen Monaten weithin sichtbar, um die Spitze des 60 Meter hohen Turms neben der Helmut-List-Halle windet. Doch der neue Science Tower, der von Architekt Markus Pernthaler entworfen und im September letzten Jahres feierlich eröffnet wurde, ist nicht nur hübsch anzusehen. Die kleinen Zellen, aus denen die Fassade aufgebaut ist, können noch viel mehr.

Grätzel-Energie

Benannt nach ihrem österreichischen Erfinder, dem Physiker Michael Grätzel, stellt die Grätzel-Zelle die Alternative zur herkömmlichen Solarzelle dar. Als Grätzel-Zelle wird eine spezielle Farbstoffsolarzelle bezeichnet, die leichter herstellbar und flexibler als traditionelle Solarzellen ist. Sie benötigt kein Silizium, sondern besteht aus zwei Glasplatten, die mit einer leitenden Schicht verbunden sind. In dieser Schicht befinden sich Titanoxid, das auch in Zahnpasta oder Sonnencreme enthalten ist, ein Farbstoff – wie er zum Beispiel in Fruchtsaft vorkommt –, Grafit und Elektrolyte aus Kochsalzlösungen.

Perfekt ist die Grätzel-Zelle trotz ihrer technologischen und umweltschonenden Vorteile dennoch nicht. Im Vergleich zur Solarzelle ist die Lebensdauer der Science-Tower-Zelle kürzer, auch ihr Wirkungsgrad ist schwächer. Außerdem fehlt es an Praxiseinsatz. Kristalline Module sowie Photovoltaikzellen sind heute eine ausgereifte Technologie, die man in der Erwartung montiert, dass sie mindestens 20 Jahre lang arbeiten. Die Grätzel-Zelle ist von dieser Bilanz derzeit noch einige Jahre an Forschung entfernt.

Führung durch den Tower – Foto: Foto Fischer

Photosynthese am Bau

Der Energiebedarf des Turmes kann zu 100 Prozent mit Energie, welche durch die hier erstmals großflächig angewandte Grätzel-Technologie gewonnen wird, abgedeckt werden, sagen die Betreiber. Doch wie entsteht aus Sonnencreme, Grafit und Fruchtsaft am Ende Strom? Mario Müller, der technische Direktor des Bauherren SFL, erklärte anlässlich einer Führung durch den Tower: „Die Grätzel-Zelle funktioniert nach dem pflanzlichen Vorbild der Photosynthese, also einem lichtbetriebenen Stoffwechsel.“ Das Licht wird mit Hilfe des Farbstoffes eingefangen, woraufhin Elektronen aus den Farbmolekülen ausgelöst werden, die wiederum von Titanoxid und Elektroden im Inneren der Zelle aufgenommen werden. Durch die Elektronenwanderung innerhalb der Zelle entsteht elektrische Spannung, die über einen Stromkreis genutzt werden kann. Der Science Tower ist von einer Schicht dieser Zellen ummantelt: Tagsüber lassen sie Licht herein und schützen zugleich die Pflanzen des Urban-Gardening-Bereichs in den obersten Stockwerken vor übermäßiger Sonneneinstrahlung; abends verwerten sie den sogenannten Lichtabfall des künstlichen Lichtes. Das zylindrische Bauwerk kann also Energie generieren, speichern und je nach Bedarf abgeben.

Wie geht sanftes Wachstum?

Wozu das alles? Letztlich soll der Science Tower zeigen, wie zeitgenössische Stadtverdichtung aussehen kann, die noch dazu nachhaltig ist. 16 Millionen Euro ist der neue Turm schwer, er wird von der Stadt als „Leuchtturmprojekt“ der Smart City ausgewiesen, die derzeit in zwei Zielgebieten im Grazer Westen – Reininghaus  und Waagner-Biro – realisiert wird. Ziel ist eine „Zero Emission City“, also ein Graz, das trotz Wachstums der Umwelt nicht zur Last fällt und gleichzeitig höchste urbane Lebensqualität bietet. Der neue Turm soll dabei nicht nur das Stadtbild ändern, sondern insgesamt dazu anregen umzudenken. Auch die Verkehrserschließung der Stadtteile soll „sanfter“ werden, dazu dienen auch die Verlängerungen der beiden Straßenbahnlinien 3 und 6, die vermutlich ab 2021 in die Smart Citys führen werden. Dadurch soll auch das allgemeine Bewusstsein für das Zusammenspiel von Mensch und Natur gesteigert werden. Auch für Mario Müller steht der Turm für Veränderung: „Der Science Tower ist nicht rein als Gebäude zu sehen, viel mehr ist er eine Botschaft für eine lebenswerte und urbane Zeit und die Zukunft des Bauens.“

Crazy-Cat-Lady und Serienjunkie mit einer unbändigbaren Liebe für süße Heißgetränke und noch süßere Nachspeisen

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2 Comments

  1. Hallo Elena,

    kann der Science Tower denn aktuell tatsächlich Energie erzeugen? Zur Eröffnung waren die Grätzelzellen ja noch nicht funktionsfähig, weil nicht angeschlossen, und SFL kurz darauf insolvent.

    LG

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