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Das letzte Puzzlestück

in KULTUR von

Mit “Scharfstellen_2” gibt es derzeit im < rotor > eine Ausstellung zwischen Kunst und Politik zu bewundern. Auch ein Digitaldruck der Künstlerin Kristina Leko ist zu sehen. Seit fünf Jahren plant die Künstlerin, dem ÖGB ein Denkmal im Annenviertel zu setzen. Heuer soll aus dem Plan endlich Wirklichkeit werden.

Es ist ein kalter Donnerstagabend, kurz vor 21:00 Uhr. Hell erleuchtet ist der Eingang des <rotor>, denn gleich wird die Ausstellung Scharfstellen_2 eröffnet. Schon das zweite Mal in diesem Jahr werden ausgewählte Werke von KünstlerInnen gezeigt, die mit ihren Arbeiten nachhaltigen Einfluss auf die Programmatik des Kunstzentrums hatten. Schon in der Eingangshalle fesseln farbenfrohe Fahnen mit ausdrucksstarken Motiven die Blicke des Besuchers. Katrin Plavcak hat diese handgenäht, sie stehen stellvertretend für  Länder oder Territorien und behandeln Themen wie Freiheit, Kolonialisierung oder Feminismus.

Rammböcke, Fotos und Videoerzählungen

Vor der Ausstellungseröffnung bleibt noch ein wenig Zeit für einen ersten Rundgang. Gleich zu Beginn erwarten die Besucher Werke des Künstlerduos G.R.A.M. Sie zeigen nachgestellte Pressefotos und ein Video, welches dokumentiert, wie G.R.A.M. arbeitet. Den größten Teil des nächsten Raumes nimmt ein detailreich ausgeschmückter Rammbock mit dem Titel “The Resurrection of Delacroix” ein, den Nevan Lahart entwickelt hat. Ganz im Gegensatz dazu lädt der vierte Raum dazu ein, innezuhalten und sich konzentriert zu vertiefen. In dem abgedunkelten Zimmer läuft auf einer großen Leinwand die von Esra Ersen produzierte Videoerzählung einer Reise nach Sofia, die den Zuschauern die Leerstellen in der bulgarischen Geschichtsschreibung vorführt, wenn es um die osmanische Herrschaft geht. Das Werk von Kristina Leko hängt im Gang. Die gebürtige Kroatin lebt und arbeitet heute in Berlin. Graz kennt sie schon lange. „In den 80/90-er Jahren sind wir oft mit dem Bus aus Zagreb gekommen, um hier einzukaufen. So habe ich damals meine Wohnung eingerichtet.“ Ihr Werk ist ein Digitaldruck und zeigt die Wand eines Gebäudes, an dem eine Tafel angebracht ist. Was im < rotor > als Versuchsanordnung montiert ist,    soll – wenn alles gut geht – bald im öffentlichen Raum, genauer: an der ehemaligen ÖGB-Zentrale am Südtirolerplatz, zu bewundern sein.

„Under the Thumb“ von Katrin Plavacak, 2015, Courtesy Galerie Mezzanin, Genf, Darstellung der Finanzkrise – Foto: Michael Mayer

„Bei der Arbeiterbewegung sind alle gleich

Ortswechsel: Am Südtiroler Platz, Standort des Kunsthauses und “Tor” zum Annenviertel ist kaum mehr etwas vom früheren “Arbeiterviertel”, das der Lend einmal war, zu spüren. Das wollten die Künstlerin Kristina Leko und ihr Team schon im Mai 2013 ändern. „Während meiner Einkaufstouren in der Jugend habe ich nie etwas vom Annenviertel oder den Arbeitern dort mitbekommen. Dieser Aspekt ist für Besucher der Stadt einfach ausgelöscht”, so Leko. Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) hatte am Platz lange seine Graz-Zentrale, heute sind in dem von Domenig & Wallner umgestalteten Bau “Zum silbernen Elefanten” Büros und Luxusapartments untergebracht. Leko findet die Erinnerung an den ÖGB wichtig. „Wo ständen wir heute ohne die Gewerkschaften, die Solidarität ansprechen und daran erinnern? Die Arbeiter, die damals ihre Rechte erkämpft haben, sind weg, neue Arbeiter werden eingeflogen und wissen nichts von ihren Rechten“, sagt Leko im Interview.

Um an die wichtige Funktion der Gewerkschaften zu erinnern, wollte Leko 2013 auch die ÖGB-Zentrale in ihr Projekt „ Keine Denkmale zur Geschichte von Arbeit und Einwanderung” einbeziehen. An acht unterschiedlichen Orten im Viertel entstanden damals Texttafeln, um wichtige Orte der Arbeiterbewegung zu markieren. Sieben davon können noch heute besichtigt werden. Texttafeln sind beispielsweise in der Annenstraße 10, in der Idlhofgasse 36 oder auch im Inneren des Styria Centers zu finden. Auf immer jeweils zwei Tafeln werden an jedem dieser Plätze historische Ereignisse zur Arbeitergeschichte, persönliche Erfahrungen von aktuell dort lebenden Personen und die dort angesiedelten Institutionen, welche einen wichtigen Beitrag zur Arbeitergeschichte geleistet haben, vorgestellt. Die Hommage an den ÖGB wird nur aus einer Tafel bestehen. In roter und weißer Schrift werden abwechselnd Details zum ÖGB und Erfahrungen einer brasilianischen Arbeiterin vorgestellt. Leko: „Die Menschen denken oft nur an kulturelle, religiöse Unterschiede und übersehen dabei, dass es auch gemeinsame Interessen gibt. In der Arbeiterbewegung sind alle gleich.“

Das Werk für die ÖGB als Digitaldruck von Kristina Leko – Foto: Thomas Raggam

Entstanden ist das Projekt in Zusammenarbeit mit dem <rotor>. Erstmals wirkte Kristina Leko 2002 bei einer Ausstellung mit dem Schwerpunkt Jugoslawien, Immigration und Arbeiterbewegung im Kunstzentrum in der Volksgartenstraße  mit. Schon 2007 setzte sie mit ihrer Ausstellung „Missing Monuments“ herausragenden MigrantInnen  ein Denkmal. Jedes ihrer Werke entsteht in Zusammenarbeit mit Experten. Die Ausstellung „Keine Denkmale zur Geschichte von Arbeit und Einwanderung“ etwa hat die Kulturanthropologin Judith Laister mit ihren Studenten wissenschaftlich begleitet. Damals konnte einzig die Tafel für den ÖGB nicht realisiert werden.

Große Pläne für 2018

Was 2013 nicht gelang, könnte nun doch noch wahr werden. Leko vermutet, dass ihr Projekt damals nicht verwirklicht werden konnte, da die Eigentümer mit dem Verkauf der neuen Apartments beschäftigt waren, die Tafel habe da wohl nicht zum neuen Image des “silbernen Elefanten” gepasst. „Wir haben die Anfrage für die Anbringung des Kunstwerkes gestellt, als gerade der Verkauf dieser Lofts lief”, sagt Anton Lederer, der das Projekt seitens des < rotor > begleitete. “Es hieß, man könne in dieser Phase Anfragen wie unsere nicht bearbeiten. Ich hatte den Eindruck, dass für die Anbringung des Kunstwerkes alle Eigentümer zustimmen müssen. Doch zu dem damaligen Zeitpunkt waren die Eigentumsverhältnisse ja noch gar nicht geklärt“, so Lederer. Doch heute, 2018, ist alles geklärt und die Realisierung des letzten Puzzlestückes zu Kristina Lekos Werk wird wieder in Angriff genommen. „Der Standort am Südtiroler Platz ist für unser Projekt von großer Wichtigkeit”, sagt Leko. „So werden die Besucher künftig schon am Anfang des Annenviertels auf die Arbeiterbewegung und unser Kunstprojekt aufmerksam gemacht und können von dort ihren Rundgang starten“.

Infobox
Die Ausstellung ist noch bis 17.02.2018 im <rotor> zu erleben. Auch das Rahmenprogramm kann sich sehen lassen:

30.01.2018, 19:00 Uhr

Das Werk von Kristina Leko im Grazer Annenviertel, Vortrag von Judith Laister, Kulturanthropologin

17.02.2018, 14:00 Uhr

Letzter Tag der Ausstellung, Kuratorisches Gespräch über die Ausstellung. Gast: Kate Strain, Künstlerische Leiterin Grazer Kunstverein

Öffnungszeiten: MO – FR: 10:00 Uhr – 18:00 Uhr, SA 12:00 Uhr – 16:00 Uhr, an Sonn- und Feiertagen geschlossen

Küstenkind, in der ganzen Welt zuhause, liebt die Musik, tauschte Meer gegen Berge um aus einer Leidenschaft ihren Beruf zu machen

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