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Von Gräben und Stimmzetteln

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Österreich hat gewählt. Im Zuge einer Wahl, bei der sich zwei Parteien gegenüberstanden, die kaum unterschiedlicher sein könnten. Im Vorfeld der Entscheidung haben wir uns mit zwei Politikerinnen unterhalten und nachgefragt, wie es denn in Lend und Gries dahingehend aussieht.
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Seit dem Nachmittag des 23.05.2016 wissen wir: Alexander Van der Bellen ist unser künftiger Bundespräsident

Es ist bewölkt, doch bisher ist noch kein Tropfen Regen gefallen. Tina Wirnsberger hat am Fenster Platz genommen, der Blick fällt hinaus auf die Straße. In den Lend, in ihren Bezirk. Sie sitzt in der Scherbe – ein typisches Annenviertel-Lokal, könnte man sagen. Wir sprechen über den Lend. „Es ist sicher ein Viertel mit einer sehr heterogenen Zusammensetzung“, meint Wirnsberger. In diesem Bezirk seien Zahlungsfähigkeit und Benachteiligung zentrale Themen für viele BewohnerInnen. Es entstünden Konflikte und was geschähe, wenn man zu lange wegschaut, sehe man am Beispiel Volksgartenpark, um den es, wenn es nach der FPÖ gehe, eine Mauer geben sollte, so die Bezirkssprecherin der Grünen. Auf der Suche nach Lösungen müsse man alle berücksichtigen und dürfe auch nicht außer Acht lassen, dass viele Personen nicht von sich aus aktiv werden. Um in dem ehemaligen Arbeiterviertel etwas zu bewegen, sollten alle zusammenarbeiten: Polizei, SozialarbeiterInnen und die zahlreichen Initiativen aus dem Bezirk.

Tage der Entscheidungen
Am 25. Juni tritt Wirnsberger an, wenn die Grazer Grünen über ihre Liste zur Gemeinderatswahl 2017 abstimmen. Die 34-Jährige ist seit 2014 Mitglied des Grünen Gemeinderatsclubs, ist Bezirkssprecherin im Lend und engagiert sich für Initiativen wie die Plattform „Flüchtlinge Willkommen in der Steiermark“. Die Wahl des Bundespräsidenten sieht sie als Richtungsentscheidung. Es geht um eine gemeinsame oder eine gespaltene Gesellschaft, eine Gesellschaft mit unterschiedlichen Bedürfnissen, ob im Lend oder in ganz Österreich. Es gelte, sich aller anzunehmen. Die Menschen seien in einer Krisenstimmung, es herrschten Sorgen vor einem Abstieg und Schuldzuweisungen vor.

Die 34-jährige Tina Wirnsberger möchte Lisa Rücker nachfolgen und schon bald in den Gemeinderat einziehen Foto: © J.J. Kucek
Die 34-jährige Tina Wirnsberger möchte Lisa Rücker nachfolgen und schon bald in den Gemeinderat einziehen. Foto: © J.J. Kucek

Im Lend spricht Wirnsberger von einer Bewegung von unten. Menschen, die selbst für die Sicherheit am Schulweg ihrer Kinder sorgen, Kulturinitiativen, die das Viertel bereichern. Als Partei müsse man alle Anliegen ernst nehmen und ein wichtiger Schritt sei das Stadtteilmanagement, in welchem auch die Grünen sehr aktiv sind. Lend ist ein Bezirk, in dem sich viel bewegt und aus dem auch einige PolitikerInnen hervorgegangen sind. In diesem Viertel gibt es eine große Grüne Bezirksgruppe, unter anderem Frauensprecherin Daniela Grabe und die ehemalige Landtagsabgeordnete Edith Zitz. Die Kommunikation zwischen den Parteien verlaufe ihrer Meinung nach nicht schlecht. Auf Bezirksebene kommuniziert man direkter mit der Bevölkerung und untereinander. Was Wirnsberger kritisch sieht ist die Kommunikation der verschiedenen Ebenen untereinander. Die Zusammenarbeit zwischen dem Bezirk, dem Gemeinderat und der Stadtebene erfordert Geduld und nicht alles wird schnell durchgesetzt.

In einer kleinen Siedlung im Gries
Ein anderer Tag, ein anderer Ort. Im Gries scheint die Sonne. Kommt man an dem kleinen Einfamilienhaus vorbei, ist es nicht der Hinweis auf den Friseursalon im Inneren, den man zuallererst erblickt. Vor der Garage neben dem Häuschen steht ein Wahlwerbeaufsteller von dem Norbert Hofers Gesicht lächelt. Claudia Schönbacher ist in ihrer Partei, der FPÖ, für Themen wie Soziales, Gesundheit und Familie verantwortlich. Die selbstständige Friseurin ist nunmehr seit 2003 Gemeinderätin und Bezirksparteiobfrau im Gries. Dazu ermutigt haben sie vor Jahren unter anderem ihre KundInnen, so die 40-Jährige. In Graz leben Menschen aus verschiedenen Schichten zusammen und nicht jede könne für sich sprechen. Gries sei dabei ein Viertel sozialer Probleme und es brauche jemanden, der zuhört und Verständnis hat. Doch auch wenn man den Dialog suchen sollte: die BürgerInnen müssten viele Probleme selbst lösen. Eine Einmischung von außen sei in vielen Fällen kontraproduktiv, so die FPÖ-Politikerin. Schönbacher sieht Parteien als Verwaltungsorgane, die Beschlüssen zustimmen können oder eben nicht und dazu die Meinung der BürgerInnen kennen müssten. In ihrem Friseursalon macht sich gerade die letze Kundin auf den Weg nach Hause.

Im Gries seien viele politisch aktive Menschen anzutreffen, nicht parteipolitisch, aber in Initiativen engagiert. Solche Vorhaben würden jedoch durch Gesetze erschwert. Der aufmerksamen Nachbarin, die netterweise die Blumen gießt, dürfe man ja keine Kleinigkeit als Dank geben, jedes Geldgeschenk wäre Schwarzgeld. Dabei bräuchten gerade im Gries viele Menschen eine Struktur und kleinere Dienste ohne unter Druck zu stehen. Sie seien nicht arbeitsfähig, weil ihr Zustand starken Veränderungen unterworfen sei, aber kleine Dienste würden wirklich sehr stark kontrolliert.

In einem kleinen Haus in Gries betreibt Claudia Schönbacher von der FPÖ ihren eigenen Friseursalon
In einem kleinen Haus in Gries betreibt Claudia Schönbacher von der FPÖ ihren eigenen Friseursalon

Das Überwinden von Gräben
Claudia Schönbacher spricht bei dem Verhältnis zwischen den Parteien, zwischen den Grünen und der FPÖ, von Gräben. Das sei jedoch keineswegs negativ zu sehen. „Es braucht immer Druck und Gegendruck.“ Die Seiten seien nicht daran gewöhnt, sich plötzlich einigen zu müssen. Gräben seien da, um überwunden zu werden. In ihrer kleinen Siedlung leben drei Gemeinderäte aus drei verschiedenen Parteien. Privat verstehe man sich, aber spräche gewisse Themen schlichtweg nicht an. Diskutiert werde im Gemeinderat. Dennoch spricht Schönbacher sich klar für die Meinungsfreiheit aus. Die zahlreichen WählerInnen ihrer Partei seien im ersten Wahlgang sehr mutig gewesen, so die Gemeinderätin. Man hätte ein Zeichen gesetzt, ungeachtet jeder Kritik. Vor der Stichwahl befürchtete Schönbacher, dass Menschen plötzlich Angst vor ihrem eigenen Mut bekommen könnten und überhaupt nicht wählen gehen. Dies sei der kritische Punkt: Es könnte knapp werden. Und sie sollte Recht behalten.

Der neue Bundespräsident
Es war ein unfassbar knappes Rennen. Eine Wahl, die an Spannung kaum zu überbieten war. Tina Wirnsberger von den Grünen freut sich: „Heute ist ein guter Tag für Österreich, mit Alexander Van der Bellen hat der Präsident für einen positiven Zukunfts-Kurs gewonnen. So viele verschiedene Menschen haben in den letzten Wochen mit ihrem Einsatz gezeigt, dass sie sich eine Politik der Zuversicht wünschen – auch in der Wahlkabine. Dieses Engagement hat mich sehr beeindruckt und dafür bin ich dankbar.“ Auch, wenn der neue Bundespräsident nun nicht von der FPÖ kommt, meint Claudia Schönbacher: „Es ist jedenfalls ein klares Signal, dass Österreich den bisherigen Weg nicht mehr unwidersprochen hinnehmen will. Jeder, der gestern Freiheitlich gewählt hat, meint auch Freiheitlich.“

 

Realistin mit Hang zum Träumen, kreative und hartnäckige Annenpostlerin. Im Allgemeinen Liebhaberin des gedruckten Wortes. Zeichnet fast so gerne wie sie schreibt.

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