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Kunst kennt keine Grenzen

in KULTUR von
Das Projekt „West Balkan Calling“ ermöglicht KünstlerInnen aus Österreich und dem Südosten Europas (Balkan), im Rahmen eines GastkünstlerInnen-Austauschs einen Monat im jeweils anderen Land kreativ tätig zu sein. Im bunt durchgemischten Annenviertel ist momentan der Künstler Dante Buu zu Gast.

Mir gegenüber sitzt ein junger Künstler aus Montenegro in blauem Pullover. Am Handgelenk hat er ein Unendlichkeitszeichen tätowiert und vor uns auf dem Holztisch liegt sein iPhone, eine Sonnenbrille und ein Portrait eines alten Mannes. Ich hatte erwartet, ihn zu treffen – eben diesen alten Mann, denn dieses Foto ist auch auf der Homepage des < rotor > Zentrum für zeitgenössische Kunst zu sehen, wenn man den Namen Dante Buu anklickt. Doch der Künstler bearbeitete das Bild für sein Projekt mit Photoshop und alterte sich damit visuell um einige Jahre.

Dante Buu und Mak Kapetanovic. Im Hintergrund sind Mustafas Portraits zu sehen.
Dante Buu und Mak Kapetanovic. Im Hintergrund sind Mustafas Portraits zu sehen.

„Welcome Mustafa, to the life you deserve“
Dante Buu weiß nicht, ob er überhaupt so alt werden wird wie sein gealtertes Portrait und auch nicht, ob er in hohem Alter glücklich sein wird. Er setzt sich in dem Projekt „Welcome Mustafa, to the life you deserve“ mit der Kluft zwischen Versprechungen und Realität auseinander. Das kann auch als Gesellschaftskritik verstanden werden, obwohl Dante Buu primär die BetrachterInnen des Kunstwerkes entscheiden lassen möchte, was sie in der Kunst sehen und interpretieren. Außerdem betont er, dass er seine Aussagen immer nur auf sich selbst beziehen kann und alle seine Arbeiten stark persönlich geprägt sind. Auch der Name Mustafa ist kein Zufall. Es ist der zweite Vorname des Künstlers, welcher auch mit dem Vorurteil des Namens spielen möchte, da dieser augenblicklich mit dem Osten in Verbindung gebracht wird, der momentan wegen der Flüchtlingssituation meist negativ konnotiert ist. Durch die Darstellung des glücklichen Mustafas mit roten Rosen im Haar wird zusätzlich das Thema Toleranz gegenüber Schwulen eingebunden. Es geht also darum, dass Mustafa sein darf, wer er ist. Ohne Grenzen und Hürden.

Dante Buu stellt seine Kunst oft im öffentlichen Raum aus, denn es ist ihm wichtig, dass Kunst für alle Personen frei zugänglich ist. So werden Mustafas Portraits wie Vermisstenanzeigen im öffentlichen Raum an Säulen und ähnlichem aufgehängt. Ein allgemeines Kernthema seiner Arbeit ist Identität. Wir können diese zwar grundsätzlich frei wählen, müssen sie in dem Chaos der Einflüsse von Familie, Kunst, Politik etc. aber auch erst finden. Denn die Identität, die uns die Gesellschaft vorgibt, ist laut Dante Buu nicht gleichzusetzen mit unserer persönlichen Identität.

Auch im Forum Stadtpark sind Mustafas Portraits zu sehen. Foto: Dante Buu
Auch im Forum Stadtpark sind Mustafas Portraits zu sehen. Foto: Dante Buu

Warum ist Dante Buu hier?
Der Künstler aus Montenegro ist im Rahmen des GastkünstlerInnen-Austauschprojektes „West Balkan Calling“ noch bis 31.05.2016 in Graz. Sein Aufenthalt wird von < rotor > in Kooperation mit dem Cultural City Network Graz organisiert. Das Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres unterstützt das Projekt, welches von < rotor > entwickelt wurde.
Im Fall Dante Buus wird das Kunstprojekt „Welcome Mustafa“ auch vom Ministerium für Kultur in Montenegro unterstützt. „West Balkan Calling“ ist ein Folgeprojekt von „Black Sea Calling“, in dessen Rahmen KünstlerInnen aus dem Raum rund um das Schwarze Meer die Möglichkeit bekamen, in Österreich zu arbeiten und umgekehrt. Im Rahmen von „West Balkan Calling“ verbringen sechs Kunstschaffende aus Österreich einen Monat in einem der sechs Partnerländer. Im Gegensatz dazu werden KünstlerInnen aus dem Südosten Europas in Österreich beherbergt und bekommen die Chance, die lokale Kunstszene kennen zu lernen, gegebenenfalls an Projekten zu arbeiten und diese auch zu präsentieren. Vonseiten des Programms der Kunstsektion des Bundeskanzleramts gibt es wenige Möglichkeiten, als österreichische/r Kunstschaffende/r in den Ländern Südosteuropas einen GastkünstlerInnenaufenthalt zu verbringen. Margarethe Makovec, Leiterin des <rotor>, zufolge ist das auch ein Grund, warum das Projekt so regen Zuspruch bei österreichischen KünstlerInnen findet.

Das Annenviertel biete noch dazu den perfekten Rahmen für den Austausch, da dieser Teil der Stadt immer schon ein Ankunftsviertel gewesen sei. Historisch gesehen teilt die Mur Graz in zwei Teile, wobei die „Annenviertel-Seite“ alle Verbindungsstraßen, Gasthöfe und Kasernen beherbergte. Das Kommen und Gehen fand somit auf dieser Flussseite statt. Natürlich kommen heute andere Menschen an und auch Graz als Ganzes hat sich verändert. Und doch bleibt das Annenviertel das Ankommensviertel.

Das Publikum bei Veranstaltungen im <rotor> ist vielfältig. Kunst- und Kulturschaffende besuchen diese ebenso wie BewohnerInnen des Annenviertels, welche sonst weniger mit diesem Bereich zu tun haben. Dazu meint Margarethe Makovec: „Ich möchte nicht auf der anderen Mur-Seite arbeiten“, denn auch das Umfeld ist für sie wesentlicher Bestandteil des Vereins. Dieser solle nicht abgekapselt werden, sondern vielmehr mit seiner Umgebung verschmelzen und dadurch bereichert werden.

Mak Kapetanovic aus Bosnien und Herzegovina sieht mehrere Vorteile in dem Kunstprojekt. Er ist Leiter des Public ROOM in Sarajevo und Projektpartner von Margarethe Makovec. Zum einen profitieren die KünstlerInnen selbst, zum anderen auch das Publikum. Die internationale Vernetzung kann zudem die lokale Kunstszene bereichern. Gerade in einer Zeit, in der länderübergreifender Zusammenhalt in Europa keine Selbstverständlichkeit ist, sei es laut Mak Kapetanovic wichtig, solche Kulturprojekte zu fördern. Nur Kultur könne von Mensch zu Mensch kommunizieren und den Gedanken „We’re all the same!“ in die Welt tragen.

Von Österreich nach Serbien
Im Juli 2016 wird der in Graz lebende Künstler Gregor Schlatte die Möglichkeit bekommen, einen Monat in Belgrad zu verbringen. Ihn treibt vor allem die Neugier an, mehr über die Finanzmathematik zu erfahren. Nicht unbedingt das Motiv, das man erwartet hätte, doch der Künstler setzt sich momentan mit der bildlichen Darstellung von Finanzmärkten auseinander und stellt exemplarisch die Hypo Bank in den Fokus. Aufgrund der Verbindung von Österreich und den Balkanländern in diesem Fall ist Gregor Schlatte optimistisch, seine Kunst und Forschung in Serbien voranzutreiben.

lebensfrohe teilzeit-perfektionistin mit einer schwäche für nutella. lacht gerne und schätzt menschen, die dieses hobby mit ihr teilen. oft vor tasten anzutreffen, manchmal tippend manchmal klimpernd am klavier.

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