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Das politische Klavier der Angst

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Die Steirische Landtagswahl brachte die FPÖ als klaren Wahlsieger hervor. Beim Blick auf die Ergebnisse von den Bezirken Lend und Gries fällt auf, dass sich der Zulauf zu den Freiheitlichen dort eher in Grenzen hielt. Wir haben Sozialpädagoge Joachim Hainzl um einen Erklärungsversuch gebeten.

Er kennt das Annenviertel genau. Als Sozialpädagoge und Sozialhistoriker beschäftigt sich Joachim Hainzl eingehend mit der Bevölkerung und deren Zusammensetzung zwischen Hauptbahnhof und Mur. Er ist sich der Vielfalt des Viertels bewusst und hat durch seine Arbeit beim Sozialverein Xenos einen guten Eindruck, wie die EinwohnerInnen damit umgehen. Was ihm beim Blick auf die Ergebnisse nach dem Wahltag sofort auffällt: „Das Erste, das im Vergleich zu den anderen Bezirken interessant ist: Wir haben anscheinend eine gewisse Verlagerung nach Gösting“, meint Hainzl. „Dort ist die FPÖ an erster Stelle, der Anteil an nichtösterreichischen BürgerInnen ist aber nur der dritthöchste in Graz.“ Im vierten und fünften Bezirk hingegen, wo prozentuell die meisten EinwohnerInnen mit ausländischer Staatsbürgerschaft leben, war die FPÖ nicht so erfolgreich wie bei der Nationalratswahl 2013. „Das, was Lend und Gries teilweise gewesen ist, ist jetzt fast Gösting.“

 

 

Tatsächlich sind die Freiheitlichen in beiden Bezirken des Annenviertels nicht ganz vorne zu finden. Mit rund 31 Prozent in Lend und 29 Prozent in Gries war die SPÖ bei den aktuellen Landtagswahlen die stimmenstärkste Partei. Die FPÖ folgt mit einem deutlicheren Abstand als auf Landesebene, die ÖVP weit dahinter. Die Grünen schneiden klar schlechter ab als bei der Nationalratswahl im Oktober 2013, die KPÖ kann ihre Stimmen von der letzten Landtagswahl halten und holt in Lend und Gries mehr Prozente als in allen anderen Grazer Bezirken.

 

Das blaue Spiel mit dem Klavier

„Was mich an den beiden Bezirken am meisten geschreckt hat, war die Wahlbeteiligung“, erzählt Hainzl. Im Lend haben 47 Prozent ihre Stimme abgegeben, im Gries gar nur 41,7 Prozent – das bedeutet den schlechtesten Wert der Stadt Graz. „Demokratiepolitisch ist das ein Wahnsinn.“ Es lässt sich also der Schluss ziehen, dass eine höhere Wahlbeteiligung der FPÖ wohl genutzt hätte, um noch mehr Stimmen zu lukrieren. „Aber das ist natürlich Kaffeesud lesen.“, so Hainzl. „Es scheint hier so viele zu geben, die schon so frustriert sind, dass sie nicht einmal mehr blau wählen.“ Die Statistik zeigt: Die Bezirke Lend und Gries haben den höchsten Anteil an ausländischen EinwohnerInnen, sprich EU- und Nicht-EU-BürgerInnen. Daher denkt Hainzl, dass Themen wie Asylchaos oder Ausländerproblematik, wie sie die FPÖ offensiv behandeln, hier eigentlich den Nagel auf den Kopf treffen müsste. „Dort müssten die Freiheitlichen eigentlich am meisten potentielle WählerInnen ansprechen. Man hat dort aber viele anscheinend auch nicht zum Protestwählen gebracht.“

Lend und Gries seien typische Arbeiterbezirke, so Hainzl. „Es gibt hier sehr starke kurdische und türkische Gruppierungen. Bei den Kurden besteht eher eine Bindung zu Arbeiterparteien.“ Daher sind die vielen Stimmen für die KPÖ nicht verwunderlich und auch, dass die SPÖ als traditionelle Arbeiterpartei die Mehrheit hält. Diese wurde zwar zu 10 Prozent weniger gewählt, der Prozentsatz der KPÖ blieb allerdings in etwa gleich. „Ein Teil der SPÖ-Wähler ist wohl zu blau gewechselt, aber viel mehr sind Nichtwähler geworden“, mutmaßt Hainzl über einen möglichen Wählerstrom. Eine Tendenz hin zur FPÖ ist dennoch nicht von der Hand zu weisen. „Es gibt in den Bezirken schon auch Facharbeiter und teilweise Bürgerliche, die vermögend sind oder zumindest in einer guten Wohnsituation. Es sind also nicht nur die, die eh schon zu kurz kommen, sondern auch solche, die Angst haben etwas zu verlieren.“ Dieses Gefühl müsste in den beiden Bezirken stärker vorhanden sein als in anderen. „Die FPÖ spielt auf dem Klavier der Angst und kann diese Ängste gut schüren.“

 

Joachim Hainzl denkt, dass die FPÖ von der Angst vieler Leute profitiert.
Joachim Hainzl denkt, dass die FPÖ von der Angst vieler Leute profitiert.

„Die Großen haben Schiss“

Joachim Hainzl kann sich auch denken, was nun bis zur Gemeinderatswahl 2017 passieren wird. „In Graz wird noch viel mehr Ängstlichkeit regieren.“ Seiner Einschätzung nach werden sich die Großparteien noch mehr von sozialer und gesellschaftlicher Gestaltungspolitik verabschieden – emotionale Gefühlspolitik sei derzeit angesagt. „Ich befürchte, die Politik wird noch mehr kulturalisiert.“ Und das werde der FPÖ in die Karten spielen: „Leider haben die Großparteien das in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten schon nicht gecheckt. Sie denken ja nur an Wählerstimmen und nicht an Menschenrechte oder die Entwicklung einer Gesellschaft.“ Hainzl findet klare Worte: „Ich erwarte mir, dass man darauf schaut, wo es Konflikte im Zusammenleben gibt und diese Themen angeht.“ Spätestens jetzt bestehe Bedarf für einen Kurswechsel in der politischen Kommunikation. „Ich erwarte mir auch ein ganz klares Bekenntnis für Antirassismus. Da haben sie Schiss.“ In seinen Augen gibt es noch genug Leute, die eine rassistische Einstellung haben, aber trotzdem rot oder schwarz wählen. „Um diese nicht ganz zu verlieren, werden die SPÖ und ÖVP versuchen nun möglichst viel von deren Meinung in ihr Programm zu integrieren.“ Darin sieht Hainzl ein großes Problem. „Ich fürchte die Migrationsleistung der Großparteien wird eher sein, ausländerfeindliche Positionen von potentiellen Wählern zu integrieren. Denn diese wollen sie bei der Stange halten, bevor die auch noch zu Blau übergehen. Und damit hat die FPÖ indirekt gewonnen.“

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