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Sex Sells – Das ganze normale Leben

in VIERTEL(ER)LEBEN von

Es ist das älteste Gewerbe der Menschheit. Keiner redet gerne darüber, es ist aber – vor allem in einer Stadt – allgegenwärtig und fast schon sagenumwoben: Das Rotlichtmilieu. 

36 Etablissements inklusive Laufhäusern sind in Graz zu finden. Noch vor wenigen Jahren waren es 60 und mehr. Die Anzahl der Frauen, die in diesem Bereich arbeiten, hat sich dabei nicht verändert, allerdings verschwinden immer mehr Einrichtungen aus wirtschaftlichen Gründen. Da besonders im Annenviertel viele Etablissements zu finden sind, nahmen wir uns diesen Veränderungsprozess zum Grund, das Rotlicht näher zu betrachten und begleiteten die Polizei auf einer ihrer Kontrolltouren.

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Es ist noch hell und früher Abend. Vor dem unscheinbaren Gebäude, in dem wir die beiden Kommissare des Kriminalreferat Fachbereich 3  für Menschenhandel, Zuhälterei und Prostitutionswesen treffen, stehen nur wenige Autos. Ein älterer Herr huscht an uns vorbei und dreht sein Gesicht in die andere Richtung, steigt in sein Auto und verschwindet. Ein Freier. Wer Leuchtreklamen erwartet hat, wird hier bitter enttäuscht. Das Laufhaus ist ein schlichtes Gebäude, nur eine Tür trennt das Geschäft mit der Liebe, das dort drin stattfindet, von der Straße.

Nachdem alle nötigen Formalitäten mit den Beamten ausgetauscht worden sind, zieht Kommissar Strohmeier, Stellvertretender Hauptsachbearbeiter und seit 20 Jahren Mitglied der Abteilung einen letzten Zug an seiner Zigarette: „Man sollte sich die Situation im Rotlichtmilleu auf keinen Fall so vorstellen, wie man es im Fernsehen sieht. Das Ganze läuft relativ unspektakulär ab. Wir werden nun die Ausweise der Damen kontrollieren und uns vergewissern, dass sie die nötigen Arztbesuche einhielten, die einmal wöchentlich anstehen.“

Mit diesen Worten setzen wir erstmals in unserem Leben einen Fuß in ein Laufhaus. Der Unterschied zwischen einem Laufhaus und einem Bordell besteht im Grunde darin, dass ein Laufhaus kein Lokal beinhaltet. Das Haus wird vom Besitzer zur Verfügung gestellt und die Frauen mieten sich darin ein Zimmer. Was sie einnehmen, gehört ihnen. Viele von ihnen benutzen das „Liebesnest“ auch als ihre Wohnung und übernachten dort.

Kommissar Strohmeier klopft an eine der Türen, die mit pornografischen Fotos der Mädchen geschmückt sind. Sie  verraten den Freiern, was sie hinter der Tür erwartet. Zusätzlich ist an jeder Tür ein Schild angebracht, das sich wenden lässt. Wie bei einer Ampel bedeutete grün „gehen“. Bei Rot soll man warten oder sich an eine der anderen Türen wenden. Unsere Tür ist grün.

Eine junge Frau liegt auf ihrem Bett und hörte Musik. Sie scheint sich zu langweilen und zu warten. Ignoriert man das leicht zerknitterte Spitzenkorsett und den Dildo am Nachtkasten, so sieht man einfach eine Frau, die versucht, die Zeit totzuschlagen. Wir müssen an die Worte von Michaela Engelmeier vom SXA Frauenservice, einer Anlaufstelle für Sexarbeiterinnen und Multiplikatoren denken, die in einem Gespräch erklärt hat: „Niemand fragt eine Sexarbeiterin je, was sie will. Was sie in der Gesetzgebung ändern würde. Wie es ihr geht. Es handelt sich bei den Mädchen um ganz normale Frauen. Das sollte die Öffentlichkeit anfangen zu sehen. Es sind nur Frauen, die versuchen Geld zu verdienen.“

Das Mädchen, das in diesem Zimmer mit den roten Wänden und der schummrigen Beleuchtung versucht die Zeit zwischen zwei „Geschäftsterminen“ zu überbrücken, führt wie jedes Mädchen an der Tür auf einer Liste auf, welche Dienste sie anbietet. Dies bestimme auch den Preis, erklärt die junge Frau aus den Oststaaten. Auf die Frage, warum sie diese Arbeit machte, zuckt sie die Schultern. Geld. Geld sei immer der Hauptgrund. Wir fragen sie, ob sie diese Arbeit gerne macht und sie lächelt uns traurig an: „Du bist selbst eine Frau. Würdest du es gerne machen?“

IMG-20140619-WA0003Während wir uns mit der Polizei durchs Laufhaus arbeiten, bekommen wir immer öfter die Möglichkeit mit den Frauen zu sprechen. Es dauert einige Zeit, bis wir uns an die Situation gewöhnt haben. Wir stehen vollständig bekleidet mit Jacke und Schal vor ihnen, während sie mehr oder minder nackt sind.

Sie erzählen uns von ihrer Freizeit, in der viele gerne spazieren gehen oder sich mit Freundinnen treffen. Sie sprechen von ihrer Ausbildung, manche haben in ihrem Heimatland ein Studium abgeschlossen, manche haben Kinder und Familien, eine berichtet begeistert, dass sie vor kurzem geheiratet hat. Es wird uns vor allem eines sehr schnell klar: Es sind ganz normale Frauen.

Während des ganzen Abends treffen wir nur auf eine einzige Frau, die vor Selbstbewusstsein strotzend ihren Bademantel enger um ihre spärlich bedeckten Brüste zieht und erklärt: „Ich stehe auf Sex. Ich habe gerne Sex, bin wahrscheinlich so etwas wie eine Nymphomanin. Im Prinzip habe ich mein Hobby zum Beruf gemacht. Allerdings ist mir auch bewusst, dass ich damit eine von hundert bin. Die restlichen Mädchen tun all das nur wegen des Geldes und nicht weil es ihnen Spaß macht.“

In Graz gibt es rund 350-400 dieser „normalen“ Frauen, die jeden Monat von der Polizei kontrolliert werden. Häufig wechseln diese innerhalb der Lokale in Graz durch, manchmal österreichweit. Dadurch wird den Freiern eine größere Abwechslung geboten, Stammgäste wechseln häufig mit den Mädchen die Lokale.

Unsere Tour führt uns weiter in ein kleines Bordelle am Lendplatz. Auch hier ist das Licht schummrig, die Mädchen sitzen in Sitzecken und scheinen sich zu langweilen. Perfekt gestylt warten sie auf Kundschaft. Eine Kellnerin in schwarzem Bustier poliert Gläser, während sie auf eine Bestellung wartet. Der korpulente Besitzer der Bar sitzt am Tresen und raucht. Auch er scheint gewillt, mit uns zu reden und uns unsere Fragen zu beantworten. Bei der Frage nach der wirtschaftlichen Situation seufzt er unzufrieden auf und bläst den Rauch aus seinen dicken Backen, bevor er zu seiner Antwort ansetzt: „In den letzten Jahren haben wir die Wirtschaftskrise genauso zu spüren bekommen wie jedes andere Geschäft. Wenn sich die Situation so weiterentwickelt, wird Prostitution noch zum Luxusgut.“

Seit über 20 Jahren ist er bereits im Geschäft. Moralisch verwerflich finde er daran nichts. „Es ist ein Markt wie jeder andere. Manche Gäste kommen auch einfach nur ins Lokal um ihre Einsamkeit zu bekämpfen. Sie setzen sich mit einem Mädchen an die Bar und reden mit ihr. Oft stundenlang. Und danach machen sie sich wieder auf den Heimweg, ohne dass etwas passiert.“

Und auch die Kommissare des Kriminalreferats Fachbereich 3  für Menschenhandel, Zuhälterei und Prostitutionswesen sehen das inzwischen ähnlich. „Solange die Prositution geregelt und erlaubt ist, haben wir die Möglichkeit sie zu kontrollieren und in geordneten Bahnen zu behalten. Das funktioniert in Graz im Verhältnis sehr gut.“ Diese positive Situation in Graz hängt von einem soliden bundeslandspezifischen Prostitutionsgesetz und einer hohen Kontrolldichte ab.

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Dass Prostitution im privaten Kreise häufig das größere Problem darstellt, berichtet Emina Saric, Mitarbeiterin der  Caritashilfsstelle für Frauen „Divan“. In den letzten Jahren wurden sie insgesamt mit drei Fällen konfrontiert, bei denen sie auch eng mit der Polizei zusammen gearbeitet hatten.

2011, beispielsweise, kam eine junge Rumänien freiwillig nach Österreich um Geld zu verdienen. Hier lernte sie einen Mann kennen, zu dem sie eine Beziehung aufbaute. Sie zogen gemeinsam in eine Wohnung, in der sie festgehalten und zur Prostitution gezwungen wurde. Ihr Zuhälter reichte sie an Bekannte und Freunde weiter und machte sich damit auch der Sklaverei schuldig, da er ihr nicht erlaubte, die Wohnung zu verlassen.

2012 betreute „Divan“ für kurze Zeit den Fall einer Ungarin, die in ihrer Heimat einen Mann kennen lernte, der ihr einen Job in Österreich anbot. Um ihrem Kind in Ungarn ein besseres Leben zu ermöglichen, folgte sie dem Zuhälter, ohne zu wissen, dass der angebotene Arbeitsplatz in einem Bordell war. Sie wandte  sich an die Hilfstelle, um aus dem Geschäft auszusteigen.

Aktuell bieten sie einem Mädchen Unterschlupf, das von ihrem eigenen Ehemann verkauft wurde und seitdem auf der Flucht vor ihm ist.

Unsere kleine Tour durch das Rotlichtmillieu des Annenviertels endet in einem der gehobeneren Lokale. Die Einrichtung ist den Zeiten Cäsars nachempfunden, die Mädchen sind jung, groß und schlank. Die Zimmer erinnern an 5-Sterne-Hotelzimmer. Stolz erzählt uns der Besitzer von den vielen Extras, die er zu bieten hat. Zimmer mit Whirlpool. Jedes Zimmer hat ein eigenes Theme, das ganz in die dargestellte Zeit passt. Es bietet zusätzlich einen Fitnessraum für die Mädchen, eine Küche, in der sie sich etwas zu Essen holen können, wenn sie Wartezeiten haben, einen eigenen Garten, mitten in der Stadt angelegt.

„Natürlich bekommen die Mädchen keinen Fixlohn. Wo kämen wir denn da hin? Je nachdem welche Leistungen sie erbringen und welchen Zimmerpreis sie hereinbringen, danach richtet sich ihre Gage. Hat ein Mädchen keinen guten Tag, kann es passieren, dass es die ganze Nacht im Lokal sitzt, ohne auch nur einen Cent zu verdienen“, erklärt der Betreiber.

Zur Sicherheit der Frauen ist es verpflichtend neben jedem Bett einen Sicherheitsknopf anzubringen, der ins Zimmer der Verantwortlichen oder Betreiber des Lokals ein akustisches und optisches Signal sendet. Zusätzlich befinden sich in Laufhäusern Kameras auf den Gängen, um den Mädchen zusätzliche Sicherheit zu bieten.

Durch die wöchentlichen Untersuchungen sollen sowohl die Mädchen als auch die Freier geschützt werden. In manchen Etablissements herrscht eine strenge Kondompflicht, dessen Missachtung zum sofortigen Ausschluss der Lokalität führen kann. Trotzdem erzählt eine Dame mit traurigem und zerkniffenem Gesicht von ihrem letzten Arztbesuch: „Nicht alle Mädchen halten sich an diese Vorschriften. Manche Männer bieten sehr viel Geld, damit das Kondom weggelassen wird. Bei meinem Arztbesuch war eine 19-jährige Rumänin vor mir dran. Plötzlich habe ich lautes Geweine und Geschrei gehört. „Das kann nicht sein“, hat sie immer wieder geschrien. Sie hatte sich mit 19 Jahren mit HIV infiziert. Das sind die Momente, in denen man sich fragt, ob all das wirklich nötig ist. Ob es nicht auch andere Wege gibt. Im Prinzip war ihr Leben damit vorbei.“

von Sandra Gloning und Gunnar Zlöbl


Von einem kleinen Dorf in Oberösterreich in die große Stadt Graz "gefallen", besuche ich nun seit diesem Semster die FH Joanneum und kann immer noch nicht richtig glauben, dass ich wirklich hier bin. Zuhause in Franking bin ich aktiv in der Musikkapelle tätig und übernehme mit Jänner auch das Amt der Vizeobfrau. Ich lese viel und gerne, wie es sich für eine Studentin meines Studiengangs wahrscheinlich gehört und denke nicht, dass ich einen einzigen Tag ohne Musik überstehen würde. Bis vor wenigen Jahren habe ich noch (vergeblich) auf meinen Brief aus Hogwarts gewartet. Ich bin fasziniert von den Klippen und Landschaften Englands und Irlands und habe 4 Monate auf der Kanalinsel Jersey gelebt, wo ich als Köchin in einem Hotel gearbeitet habe. Meine Träume sind im Prinzip recht bescheiden, ich möchte meine Worte nur gedruckt auf Papier lesen können. Wir wurden danach gefragt, was wir nicht können. Ich singe furchtbar, was mich aber nicht davon abhält es zu tun. Sehr zum Leidwesen meiner Mitbewohner.

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