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Zwei Welten in einer Stadt

in VIERTEL(ER)LEBEN von

Vedat ist Ausländer, sagen die Österreicher. „Du Europäer“, hört er in der Türkei. Er selbst weiß nicht mehr, wo er hingehört. „Irgendwie bin ich schon heimatlos“, sagt er in Grazer Slang mit türkischem Akzent. Der 26-Jährige Kurde lebt im Annenviertel und arbeitet im Restaurant „Side“ in der Annenstraße, das sein Bruder betreibt. Sowohl Österreicher als auch Migranten essen in dem kleinen Laden, der italienische Pizzeria, türkischer Kebapstand und Café gleichzeitig ist.

vedat kilicVedat Kilic im „Side“ 

Dass sich Vedat in der Türkei nicht mehr zuhause fühlt, hat seine Gründe. Für die Menschen dort ist er keiner von ihnen mehr. „Almanci“, sogenannte Deutschtürken, heißen Auswanderer in der Türkei. „Emigranten werden in der türkischen Politik als Möglichkeit für Lobbying in Europa gesehen“, meint „JUKUS“- Geschäftsführer Ali Özbas. Ein Teil der Gesellschaft sind sie aber nicht mehr. „Wenn ich in die Türkei komme, sagt man mir, ich sei kein Türke“, erzählt er. Für Vedat kommt hinzu, dass er Kurde ist, also Teil der größten ethnischen Minderheit in der Türkei. „In meinem Heimatdorf fühle ich mich noch eher zuhause als im Rest der Türkei“, meint er.

ali özbasAli Özbas

Dort „Almanci“, hier „Ausländer“. Vedat kam mit 6 Jahren nach Österreich. Er ging hier in die Volksschule und anschließend in die Berufsschule. „Das war nicht leicht“, sagt er heute. Er sei ein ruhiger Schüler gewesen, habe sich stets bemüht freundlich zu sein. „Ich wollte österreichische Freunde finden, aber es hat zu 90% nicht funktioniert“.

„Es gibt eine kritische Grundhaltung gegenüber allem, was Ausländer angeht“, meint Nuray Kanik-Richter, ehemalige Gemeinderatsabgeordnete für die SPÖ und Projektleiterin für interkulturelle Jugendarbeit beim Verein ISOP. Einheimische seien zu verschlossen, Freundlichkeit sei oft nur gespielt und käme von oben herab. „Integration muss aber auf einer Ebene passieren, nicht eine darüber. Solange wir uns darüber stellen, wird es immer diese Parallelwelten geben“, so Kanik-Richter. Sie kam wegen ihres Mannes nach Österreich und weiß, wie schwierig es ist, hier Fuß zu fassen. „Ich hatte in der Türkei einen Job an der Uni und einen sozialen Status. Dann kam ich nach Österreich – plötzlich war ich nichts.“ Acht Monate lang suchte sie nach einem Job. Sie ging als Gastzuhörerin an die Universität, um Anschluss zu finden. Freunde fand sie dort nur unter den ausländischen Studierenden. Schließlich bekam sie einen Job bei ISOP. „Österreicher geben sich immer so offen, aber in Wirklichkeit sind sie verschlossen“, meint sie. Eine Erfahrung, die auch Vedat gemacht hat: „Oberflächlich sind die meisten freundlich, aber ich spüre die Ablehnung“.
Kanik-Richters Mitarbeiterin Candan Balci ist in Österreich geboren und hat türkische Wurzeln. In Österreich fiel es auch ihr schwer, als „Ausländerin“ akzeptiert zu werden. „Ich war in meiner Schulzeit mit Kindern verschiedenster Nationalitäten befreundet, aber nur mit sehr wenigen Österreichern“, so die junge Frau.

nuray kanik-richter und candan balciNuray Kanik-Richter mit Mitarbeiterin Candan Balci

„Das Anderssein wird immer in den Vordergrund gerückt. Aber es gibt hunderte gemeinsame Nenner“, findet Ali Özbas. Oft ist die Angst vor „dem Anderen“ aber auf beiden Seiten zu groß, um diese gemeinsamen Nenner zu finden. So bleiben Österreicher als auch Ausländer unter sich. „Migranten leben in Graz, aber nicht in Graz“, meint Nuray Kanik-Richter. „Sie haben eigene Geschäfte, sie empfangen eigene Fernsehsender, sie sprechen ihre Sprache.“ Paralellwelten sind entstanden, zwischen denen Kommunikation fehlschlägt. Vedat hat zu seinen österreichischen Freunden nur wenig Kontakt. „Im Alltag spreche ich hauptsächlich Türkisch“, sagt er. Dadurch verlerne er langsam die deutsche Sprache, die er sich selbst beigebracht hat. Nuray Kanik-Richter kennt dieses Problem. „Die Ausländer wollen Deutsch lernen, schaffen es aber nicht, die Sprache anzuwenden, da der Kontakt zu den Österreichern fehlt”, sagt sie. Die ISOP-Deutschkurse seien überfüllt.

Im Annenviertel leben ca. 14 Prozent Ausländer, also Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft – Bosnier, Kroaten, Deutsche, etc., ungefähr 25 Prozent davon sind Türken. „Wenn man immer nur Defizite betont und mit Vorurteilen verknüpft, entsteht ein Nebeneinander anstatt eines Miteinanders“, sagt Ali Özbas. Um diese Vorurteile auszumerzen, müsste man aufeinander zugehen und das von beiden Seiten. „Integration ist zweigleisig – ein Gleis die Migranten, eines die Österreicher“, meint Nuray Kanik-Richter. Bis aus den Paralellwelten eine gemeinsame Lebenswelt wird, braucht es noch viel Zeit und Arbeit. Ein erster Schritt könnte es aber sein, die Menschen aus der „anderen Welt“ kennenzulernen und die Bilder, die wir von ihnen haben, zu erneuern. Integration kommt schließlich vom lateinischen Wort integratio für Erneuerung.

FH JOANNEUM - Journalismus und PR / wohnt in Graz / 19 Jahre / schreibt und liest gern / liebt gute Geschichten und Schokolade / Tee - und Nagellackfreak/

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