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Hallo Gentrifizierung, bist du da?

in VIERTEL(ER)LEBEN von

„Wenn draußen nur noch das Raspeln der Rollkoffer auf dem Pflaster zu hören ist; wenn der türkische Elektrohändler einem Flagshipstore weicht und selbst nachts um halb zwei noch Leute mit aufgeklappten Macbook in der Bar sitzen.“

So deutlich wie in „Gentrifidingsbums“, dem Buch des Hamburger Journalisten Christoph Twickel, sind die Anzeichen auf Gentrifizierung im Annenviertel noch nicht. Doch die Frage, ob der Stadtteil durch Sanierung und Umbau zum Nachteil der ansässigen Bevölkerung aufgewertet  wird, beschäftigt längst auch die Bewohner des Annenviertels. Auch wenn dies noch vordergründig einzelne BürgerInneninitiativen und politisch links Angesiedelte öffentlich-wirksam diskutieren – Phänomene, die auf das „G-Wort“ hindeuten, gibt es bereits. Das bestätigt der Grazer Soziologe und Stadtentwicklungsexperte Rainer Rosegger: „Die Daten der Verteilung nach Staatsbürgerschaften lassen darauf schließen. Und es manifestiert sich im baulichen Bereich, wie etwa Mietpreissteigerungen.“

Anton Lederer, Mitbegründer des Kunstvereins < rotor > bemerkt ähnliche Effekte: „Das Geschäftstreiben hat sich verändert. Geschäfte, die vorher dort waren, sind von anderen abgelöst worden.“ Ein Merkmal, das mit einem Gentrifizierungsprozess oft einher geht, das jedoch auch einfach widerspiegelt, dass urbane Räume permanenten Veränderungen unterliegen. Ein anderer Indikator ist, dass Leute aus dem kreativen Sektor zuziehen. „Das ist dort auf jeden Fall passiert. Von unterschiedlichen Design- und Architekturbüros über Lokale bis hin zum trendigen Friseur“, so Lederer, der die Thematik aber räumlich eingrenzt: „Einen gewissen Verdrängungsprozess gibt es seit einiger Zeit beim Straßenzug hinter dem Kunsthaus bis zum Lendplatz hinüber – die Mariahilferstraße.“

Trotzdem kann man bei den derzeitigen Stadtentwicklungsprozessen nicht klar von Gentrifizierung sprechen, zu kleinflächig ist das gemeinte Gebiet. Der Maßstab lässt einen Vergleich mit New Yorker oder Berliner Stadtteilen, wo der Begriff ursprünglich „geboren“ wurde, kaum zu. Lederer spricht etwa von einer „urbanen Transformation“, die Teil einer städtischen Entwicklung ist. Außerdem sind weitere, für Gentrifizierung typische Indikatoren, schwer auszumachen: „Dass im großen Stil Immobilienmakler einfallen und ganze Straßenzüge in Anspruch nehmen würden, kann man nicht erkennen“, sagt Lederer. Projekte wie die Neugestaltung des Bahnhofes oder des Esperanto-Platzes locken in jüngster Zeit aber immer mehr finanzkräftige Immobilen-Firmen an.

Aufwerten, verdrängen oder doch sanieren?

Den Anfang machte Raiffeisen Evolution, ein Immobiliengebilde aus Raiffeisen, Projektentwicklung Österreich, STRABAG AG und UNIQA, bereits im Jahr 2011. Das Unternehmen sprach in seinem Werbeflyer erstmals von „Wohnkomfort im Annenviertel“, statt vom Bezirk Lend.

Das Annenviertel mausert sich zum dynamischen innerstädtischen „Trend­Karree“ und zieht mit reichhaltigem Kultur­ und Freizeitangebot immer mehr junge Menschen an. – Raiffeisen Evolution

Ein anderes Immobilienprojekt ist derzeit bei den Niesenbergergründen in Planung. Die Immobilienfirma C&P AG hat die ehemaligen Rieck-Gründe erworben. Die geplante Errichtung des innerstädtischen Einkaufszentrums ECE durch den Hamburger Otto-Konzern wurde aufgrund verschiedener Proteste zweier BürgerInnenbewegungen und der Spar Holding AG (als Betreiber des benachbarten Cityparks) verzögert und scheiterte schlussendlich. Nun soll in dem 105 Wohnungen umfassenden Bauprojekt noch im Oktober diesen Jahres unter dem Motto „Im Zentrum der Stadt und trotzdem ein Zentrum der Ruhe“ der Spatenstich erfolgen. Auch die C&P-Group benutzt in ihrer Wortwahl das neue Trendwort „Annenviertel“. Im Klappentext des Image-Videos ist Folgendes zu lesen:

Das Grazer Annenviertel liegt genau zwischen den aufstrebenden Bezirken Lend und Gries. Durch den Aus- und Umbau des Grazer Hauptbahnhofes wurde das Annenviertel zu einem wichtigen Stadtteil aufgewertet. Die komplette Neugestaltung der Annenstraße, sowie eine Verbesserung der Straßenbahnlinien durch die Unterführung am Eggenberger Gürtel machen das Annenviertel attraktiver. – C&P AG

Auf Nachfrage verriet die C&P AG man hätte sich für diesen Projekt entschieden, weil es „von der Wertsteigerung her ein interessantes Gebiet“ sei. Man könne vom Preis her „relativ günstig einkaufen und trotzdem ein höheres Wachstum erzielen“. Mit außergewöhnlich teuren Mietpreisen startet die C&P-Group übrigens nicht. Eine 35 Quadratmeter große Wohnung sei für 325€ zu haben. Relativ preiswertes Wohnen also, das durchaus als Aufwertung der Straße durchgehen könnte. Wäre da nicht die Kehrseite der Medaille. Die Zahl der Grünflächen in der ohnehin parkarmen Gegend sinkt damit weiter. Die wenigen Freiflächen seien schon jetzt überfüllt. „Irgendwann ist man damit am Limit. Wenn der urbane Raum noch mehr verdichtet wird, ohne dass noch freie Fläche offen gehalten werden, ist das nicht sehr vernünftig“, kritisiert Lederer.

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Die Künstlerin Pia Lanzinger hat im Zuge des Projekts „Prendre la Parole“ Schriften an ausgewählten Fassaden, Figuren und Gegenständen installiert. Die Texte erzählen von den Veränderungen in der Stadt

Annenviertler Mietspiegel wird kommen

Ein weiterer Indikator, der es erleichtern würde, Gentrifizierung festmachen, ist die Entwicklung hin zu höheren Mietpreisen. Einen aktuellen, aussagekräftigen Mietspiegel über das Annenviertel gibt es derzeit jedoch nicht. Das < rotor >-Team rund um Lederer arbeitet bereits an einer Studie. Schon voriges Jahr haben sie eine Erhebung über jüngste Neubauten durchgeführt. „Da kann man schon ablesen, dass nicht unbedingt für die momentane Bevölkerung, sondern für eine, die vom Einkommen her besser aufgestellt ist, gebaut wurde.“ Dass die Mietpreise steigen, erfahre man laut Stadtenwicklungsexperte Rosegger auch aus Gesprächen mit einzelnen Mietern.

Einen starken sozialen Wohnbau, wie etwa in Wien, gibt es in Graz nicht. Im Kerngebiet rund um die Annenstraße findet sich kein einziger kommunaler Bau. Dennoch warnt Rosegger davor, Gentrifizierung rein negativ zu sehen, ein goldener Mittelweg der Regulierung sei gefragt. „Die Stadtpolitik hat natürlich ein Interesse an Aufwertungsprozessen und Gentrifizierung ist ja nicht grundsätzlich schlecht“, sagt Rosegger.

Derzeit wird der Begriff „Gentrifizierung“ immer negativer aufgeladen, auch weil architektonisch interessante und zugleich gemeinnützige Projekte fehlen. Bauvorhaben wo die Kosten im richtigen Verhältnis zum Nutzen stehen, würden wohl vom Großteil der Bevölkerung angenommen werden. Wenn Neues aber einzig in Form von Prachtbauten erscheint, wird das reflexhafte Sträuben noch mehr Nachahmer finden. Der Bereich der Stadtentwicklung ist in der Gesellschaft einer der am höchsten reguliertesten Bereiche. Auch Instrumente um regulierend einzugreifen, würde es geben, sagen die Experten. Man könne sich zum Beispiel überlegen, wie man „Wohnen mit Kindern für Alleinerzieher durch Projekte fördert“, so Rosegger.

Wird die Stadtpolitik reagieren?

„Mein Eindruck ist, dass die Stadt da überhaupt kein Konzept hat. Und auch keinen, oder zumindest wenig Willen, sich da was zu überlegen“, sagt Lederer.
Schwarzmalen will der Leiter des < rotor > aber nicht: „Der Erfolg der KPÖ in Graz ist ja sehr stark auf deren Engagement im Wohnbausektor zurückzuführen. Die anderen Parteien haben das jetzt offenbar durchschaut und wollen mit diskutieren. Das könnte Bewegung in die Sache bringen.“ Darauf lässt auch die Meldung von Stadträtin Lisa Rücker (Grüne) in der Annenpost von letzter Woche schließen: „Im Annenviertel kann man hoffentlich durch bewussten Einfluss verhindern, dass Gentrifizierung massiv passiert.  Das Viertel soll keine leere Hülle für die klassischen Marktgeschäfte werden.“

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„Die KPÖ ist bekannt dafür sich sehr dafür einzusetzen, dass Wohnraum in der Innenstadt nicht verloren geht. Es gibt eine Entwicklung, die äußert bedenklich ist, unter anderem auch im Annenviertel. Der Begriff der Gentrifizierung, der passiert dort. So schön das für Besucher und Leute aus anderen Stadtteilen sein mag, Fakt ist, dass man Altmieter dadurch vertrieben hat.“ – Elke Kahr, Stadträtin (KPÖ)

„In der Annenstraße kann man überhaupt noch nicht von Gentrifizierung reden. Es muss abgewartet werden, was jetzt nach dem Umbau passiert. Die Annenstraße ist seit sie gebaut ist, immer ein absolutes Zentrum der Stadt gewesen. Da stelle ich mir die Frage: Wie kann man etwas gentrifizieren, das ohnehin immer Zentrum gewesen ist. Da ist ein gewisser Widerspruch.“ – Anton Lederer, Leiter des Kunstvereins < rotor >-

„Man muss die richtige Mischung finden. Es gibt auch Menschen, die in diesen trendigen Gebieten wohnen wollen.“ – Rainer Rosegger, Stadtentwicklungsexperte

„Schon 1997 gab es ein großes, von der EU gefördertes Projekt, namens Urban I. Bereits da wurde geredet, ob das investierte Geld in der Gegend einen Verdrängungsprozess auslösen wird. Erstaunlicherweise ist in diese Richtung gar nichts passiert. Auch weil das Geld sinnvoll eingesetzt worden ist.“ – Anton Lederer

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Aufgewachsen in Bruck an der Glocknerstraße, traute er sich 2010 nach der Matura blutjung und unerfahren heraus aus dem heimeligen Pinzgau und hinein in die große (Medien)-Welt. Angetrieben durch starke Affinität zum Fußball und Eishockey beschloss der begeisterte Hobbymusiker seine Zelte für zwei Jahre in Salzburg aufzuschlagen und dem Universitätslehrgang Sportjournalismus zu frönen. Nach dem erfolgreichen Abschluss und dem zeitgleichen Kurzintermezzo als freier Mitarbeiter bei der APA, ging’s 2012 zum Studieren von Journalismus und PR nach Graz.

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4 Comments

  1. Liebes Annenpost-Team!

    Vielen Dank für den Bericht über unser Projekt.

    Die C&P AG ist kein Wiener Immobilienriese sondern ein steirischer Immobilienentwickler mit Sitz in Unterpremstätten bei Graz.

    Mit freundlichen Grüßen,
    Thomas Schober

  2. „Mit außergewöhnlich teuren Mietpreisen startet die C&P-Group übrigens nicht. Eine 35 Quadratmeter große Wohnung sei für 325€ zu haben. Relativ preiswertes Wohnen also, das durchaus als Aufwertung der Straße durchgehen könnte.“

    Das soll relativ preiswertes Wohnen sein? Vor 5 Jahren war das in Wien die unterste Grenze, die wurde mittlerweile selbstverständlich ordentlich nach oben korrigiert.
    In der Bundeshauptstadt ist es im Vergleich zu anderen Hauptstädten etwas teurer, klar, aber dann kann derselbe Preis in den anderen Städten nicht als „relativ preiswert“ durchgehen.
    „Relativ preiswert“ wären für mich 230 – 250€ für eine Wohnung in der Größe.

    • Liebe Miriam F.,
      ohne jetzt alle Mietpreise in Graz genau zu kennen, wage ich mich zu behaupten, dass Sie für 230-250 Euro keine 35 Quadratmeter Wohnung bekommen, schon gar nicht einen Neubau. Von daher denke ich doch dass diese Wohnungen durchaus die Bezeichnung „preiswert“ verdienen. Sollte es gegenteilige Beispiele geben, dürfen Sie mich das gerne wissen lassen.

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