Handleserin Selma Etareri bei der Arbeit
Lesezeit: 3 Minuten, 44 Sekunden

Spiel mit der Psyche

in VIERTEL(ER)LEBEN von

Selma Etareri begutachtet meine Handflächen. Sie hält sie nahe an das Fenster, braucht Tageslicht. Ich versuche meine Hände in die optimale Position zu bringen, immerhin geht es hier um meine Zukunft.

Handleserin Selma Etareri bei der Arbeit

Selma Etareri (43) ist Künstlerin, Handleserin und Inhaberin des „Da Loam – Kunst- & schokoLADEN“. Einmal monatlich liest sie im Geschäft Flügelverleih in der Annenstraße die Hände von Interessierten. Im 30-Minuten-Takt erzählt sie Menschen von deren Persönlichkeit, Schicksal und Zukunft. Heute lege ich meine Hände in die ihren.

Bevor es los geht, ziehe ich die Schuhe aus. Auch Selma tut das. Wo man sich die Schuhe auszieht, fühlt man sich Zuhause, sagt man. Selma Etareri, die Handleserin, passt nicht in den Stereotyp der mystischen Esoterikerin. Sie trägt schlichte Alltagskleidung, spricht Klartext und lacht viel. Auch das Umfeld wirkt wenig esoterisch. Keine Glaskugel, keine Beschwörungsformeln, kein Kerzenlicht. Der Raum: Klangschalen in der Zimmerecke, spärliche Einrichtung, Tisch und Bänke vermutlich von IKEA. Es duftet nach Räucherstäbchen. Ich fühle mich wohl.

Selma liest mir die Hände, beginnt auf der Handaußenseite. Sie vermutet eine Laktose-Intoleranz. Die Handinnenseite verrät meine Persönlichkeit. Selma schätzt mich gut ein, ihre Beschreibungen treffen meist zu. Die rechte Hand verrät Zukünftiges: Ich werde Vater zweier Kinder sein, sehr bekannt werden und nur eine bestimmende Beziehung in meinem Leben haben. Nach zwanzig Minuten Prognosen, Tipps und Einschätzungen kenne ich mehr von meiner Zukunft, als ich auf die Schnelle verarbeiten kann.

 

Im Moment bin ich etwas überfordert. Kommt das öfters vor oder bin ich da ein Einzelfall?

Selma Etareri: Das ist absolut normal. Ganz wichtig ist aber das Bewusstsein, dass von dem Gesagten nicht alles stimmen muss. Handlesen ist auch ein Spiel.

Haben Sie mir zuvor alles gesagt, was Sie in meiner Hand gesehen haben, oder haben Sie manche Dinge bewusst ausgelassen?

Selma Etareri: Nein, ich lasse nie etwas aus. Meistens achte ich aber nicht auf Tragödien. Wenn ich etwas Tragisches finde, lasse ich es nicht weg. Manche Dinge kann man aber nicht weitergeben. Zum Beispiel kann man aus Händen herauslesen, ob ein Mensch zum Selbstmord tendiert. Ich kann aber keinem jungen Menschen sagen, dass er sich selbst umbringen wird. Dann wäre ich eine Mörderin.

Würden Sie es mir denn sagen, wenn Sie in meiner Hand einen nahen Todesfall in meiner Familie oder eine bald beginnende Krebserkrankung sehen würden?

Selma Etareri: Wenn du mich so direkt danach fragst: Ja, du wirst eine geliebte Person verlieren, wenn du dreißig bist. Solche Voraussagen sind aber immer eine vage Sache.

Ist das Handlesen dann nicht gerade bei mental nicht so gefestigten Personen ein Risiko, da man sie mit der Prognose total aus der Bahn werfen könnte?

Selma Etareri: Nein, das ist keine Gefahr. Die Schwierigkeit besteht nur dann, wenn man jemandem sagt: „Du verlierst eine geliebte Person und fällst dann in ein tiefes Loch“. Es wäre eine Frechheit, das so zu formulieren. Wohlgemerkt: Es gibt Leute, die das machen. Ich persönlich spreche aber keine Dinge an, die man nicht ändern kann.

Flüchten die Menschen in Zeiten der Wirtschaftskrise vermehrt in „übernatürliche“ Welterklärungen?

Selma Etareri: Im Moment gibt es definitiv eine Tendenz zu alternativen Ratgebern. Besonders Kartenlegen liegt sehr im Trend. Handlesen geht mehr auf die Persönlichkeit des Einzelnen ein. Mann kann also die Reaktion einer Person ablesen, wenn draußen alle ‚Hilfe! Es brennt, es kracht, es crasht!’ schreien. Derzeit ist es sehr gefragt, sich analysieren und einschätzen zu lassen – der Mensch sucht sich eben einen Rettungsanker.

Als Handleserin hat man auch ein großes Maß an Verantwortung. Wird das für Sie manchmal auch zur Last?

Selma Etareri: Ich habe viel größere Verantwortungen im Leben, als jemandem aus der Hand zu lesen. Ich muss viele wichtige Entscheidungen treffen. Zudem ist das Handlesen für mich auch nur eine Persönlichkeitsanalyse. Ich gebe Menschen einfach Tipps, mehr nicht. Ich erkläre Menschen, die sich zu viel ärgern, dass sie mit ihrem Ärger haushalten müssen. Personen mit blasser Haut rate ich zu einer besseren Nährstoffversorgung. Ich bin zwar kein Arzt, kann aber sehr wohl feststellen, wenn die Ressourcen eines Körpers am Ende sind. Manche Dinge halte ich aber für verantwortungslos – beispielsweise einen Todestag vorauszusagen. Das ist Idiotie.

Bei Handleserinnen in Internet oder Fernsehen hätte ich meinen Todestag bestimmt gesagt bekommen.

Selma Etareri: Man kann keinen Todestag bestimmen, aber für das Fernsehen macht man ein G’schichterl draus. Das muss dann super sein. Man darf aber Menschen keine Endzeit prophezeien, das ist sehr verantwortungslos.

Kann man ihr Handwerk bei all diesen fragwürdigen Angeboten überhaupt noch ernst nehmen?

Selma Etareri: Ich muss zugeben: Ich nehme mein Handwerk selbst nicht todernst. Handlesen ist ein Spiel. Man versucht einen Menschen zu entdecken. Die Wegweiser dafür sind anhand von Nervenimpulsen entstandene Linien. Man versucht in diesem Spiel das Wesen eines Menschen zu erkennen. Ich beobachte also mein Gegenüber und stelle mir die Fragen: Wie grüßt er? Wie hält er Blickkontakt? Wie wirkt er auf mich? Es ist ein Spiel mit der Psyche.

Geht denn die Kommerzialisierung in der Esoterik eigentlich zu Lasten der Spiritualität?

Selma Etareri: Mich zipft dieser Zirkus total an. Wenn das alles so ernst genommen wird, ist das für mich ein Widerspruch. Ich denke, dass Spiritualität am ehesten mit einem lachenden Buddha zu vergleichen ist. Es ist etwas Leichtes, was den Menschen aus seinem täglichen Mühsal holen und eine Ausnahmesituation erzeugen soll.

Studiert "Journalismus & PR", moderiert, spricht, schreibt, liest, bloggt, kommentiert, denkt nach. In Graz, Österreich.

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